Projekt

Das Edwin-Drood-Projekt wird von einer anonymen Gruppe erfahrener Krimienthusiasten betrieben, denen seit Jahren missfällt, dass ausgerechnet der unerheblichste Teil von Kriminalliteratur als sein unverzichtbarster geschätzt wird: das Ende. Es ist uns völlig unverständlich, dass sich der gemeine Leser dagegen sträubt, das Leben als das anzuerkennen, was es nun einmal ist: eine Geschichte voller Verbrechen, eine Geschichte ohne Ende und Trost, Auflösung und letzte Gewissheit. „Das Geheimnis des Edwin Drood“ hingegen LEBT seit 140 Jahren, weil es „unvollendet“ ist und im Kopf des Lesers weitergesponnen werden muss, ohne indes das, was man „Ende“ nennen könnte, jemals zu erreichen. Alles ist nur Provisorium, Möglichkeit, so richtig oder falsch wie alle anderen Provisorien und Möglichkeiten. Wir halten dies für die Zukunft von Kriminalliteratur und Literatur überhaupt: Sie besetzt das Gehirn des Lesers, nistet sich ein, zwingt zum Denken und vereint die Gewissheit des Scheiterns in sich. Zudem: Die Angst vor dem Ende und seiner erwarteten Logik hemmt den Autor. Stets muss er die Handlungsstränge auf ihr Auslaufen hin im Griff haben, sie zurechtbiegen und jenen Gesetzen unterwerfen, die unbekannte Götter einst vom Berge Sinai des Genres dem durch die Wüste der Gewissheit irrenden Volke entgegenrollten. Wir hingegen huldigen dem Götzendienst des von jeglichem Determinismus freien Lesens und Denkens. Das hier ausgebreitete Projekt möge als Memento Mori die Zeiten überstehen, die schlechteren Zeiten, bis die besseren herangezogen sind. Wenn man einen Krimi wegen seiner Endlosigkeit lieben wird!

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